Politikpapier

Biodiversität: Jetzt dringend handeln für Natur und Mensch

Nur wenn gesunde Ökosysteme nachhaltig überlebenswichtige Leistungen erbringen, kann auch der Mensch gesund leben. Dies setzt den erfolgreichen Schutz von Klima und Biodiversität voraus.


Übersicht

Für Biodiversität bietet das Kunming-Montreal Globale Rahmenabkommen zusammen mit dem neuen UN-Abkommen zum Schutz der Biodiversität auf Hoher See ein einmaliges Gelegenheitsfenster. Der WBGU empfiehlt das Leitbild eines multifunktionalen Flächenmosaiks: Schutz und Nutzung werden so zusammen gedacht, dass Mehrgewinne für Natur und Mensch entstehen. Deutschland sollte international entschlossen vorangehen und Prozesse zur Umsetzung beider Abkommen aufsetzen, Dialogforen und Vorreiterkoalitionen initiieren sowie eine Bildungs- und Kommunikationsoffensive starten. Biodiversitätsförderung sollte nicht allein aus Steuergeldern finanziert werden, sondern Private einbeziehen, etwa durch die Umwidmung umweltschädlicher Subventionen und durch klare Berichterstattung und Taxonomie. Die Kosten des Nichthandelns sollten verstanden werden.

Die Staatengemeinschaft hat sich 2022 auf einen neuen globalen Rahmen für die Biodiversität (GBF) und 2023 auf das Abkommen zum Schutz der Biodiversität auf Hoher See (BBNJ) geeinigt. Dieser politische Konsens spiegelt die wissenschaftlich erwiesene Dringlichkeit von Biodiversitätsschutz und belegt die Kooperationsbereitschaft zu diesem Thema selbst in Jahren angespannter internationaler Beziehungen. Biodiversität ist ein Gemeingut und essenzielle Voraussetzung für eine gesunde Zukunft der Menschen und der Arten, mit denen sie die Erde teilen. Sie ermöglicht Ökosystemleistungen, z. B. die Bereitstellung sauberen Trinkwassers oder die Bestäubung von Nutz- und Wildpflanzen, für deren Sicherung Arten und Ökosysteme angemessen große und vernetzte Flächen brauchen. Der WBGU schlägt vor, die Flächenziele des GBF entsprechend dem Leitbild eines multifunktionalen Flächenmosaiks umzusetzen, in dem Schutz und Nutzung so zusammen gedacht werden, dass Mehrgewinne für Natur und Mensch generiert werden. Dieses Leitbild bietet allen Akteuren Orientierung für biodiversitätsschonendes und -förderndes Verhalten. 

Fünf Prinzipien für einen besseren Umgang mit Biodiversität

Um die mit dem GBF und BBNJ-Abkommen eingeläutete weltweite Biodiversitätswende zu erreichen, formuliert der WBGU fünf Prinzipien (Abbildung 1): (1) Den Menschen  als Teil der Biodiversität verstehen, (2) Biodiversität und Gesundheit bzw. menschliches Wohlergehen zusammendenken, (3) Land und Meer zusammendenken, einschließlich ihrer Übergänge, (4) Biodiversität und Klima zusammendenken sowie (5) Schutz, Wiederherstellung und nachhaltige Nutzung von Biodiversität und Ökosystemleistungen solidarisch zusammendenken sowie Kosten und Nutzen gerecht verteilen.

Umsetzung der Flächenziele

International wurden wichtige flächenbezogene Biodiversitätsziele vereinbart. Zu ihrer Konkretisierung und Umsetzung empfiehlt der WBGU:

  1. Multifunktionalen Mosaikansatz ermöglichen und fördern: Die Umsetzung eines multifunktionalen Flächenmosaiks sollte durch integrierte terrestrische und marine Raumplanung ermöglicht und gefördert werden.
  2. Durch Schutzgebietssysteme mindestens 30 % terrestrischer und mariner Flächen weltweit unter Schutz stellen: Schutzgebietssysteme können neben Zonen strikten Schutzes der Biodiversität auch mit diesen vernetzte Zonen beinhalten, die Biodiversität fördern und zugleich eine abgestufte Nutzung erlauben. Schutzgebietssysteme sollten auch eine positive Wirkung auf die Planung und Nutzung der übrigen 70 % Land- und Meeresfläche entfalten. Die durchschnittliche Nutzungsintensität eines Flächenmosaiks sollte zu einem Nettogewinn von Biodiversität führen.
  3. Andere wirksame gebietsbezogene Erhaltungsmaßnahmen (OECMs) definieren und ergreifen: OECMs sollten nach global einheitlichen Mindeststandards international definiert und ihre Umsetzung gefördert werden. Für die Hohe See sollte die Auswahl entsprechender Gebiete wissenschaftsbasiert durch die Vertragsparteien des BBNJ-Abkommens getroffen werden.
  4. Alle Akteure in die Umsetzung einbeziehen: Zivilgesellschaftliche, private und öffentliche Akteure, z. B. Grundeigentümer, Verbände und Kommunen sowie Indigene und lokale Gemeinschaften sollen bei der Auswahl und Umsetzung von Schutz- und Nutzungsmaßnahmen beteiligt werden.
  5. Indigene und lokale Gemeinschaften stärken: Die Anerkennung und Achtung ihrer Rechte sind bei der Konkretisierung der Flächenziele nach dem GBF explizite Voraussetzungen. Sie sollten in naturnahen Lebensräumen autonom leben können, bei einer Respektierung und Stärkung ihrer nachhaltigen Lebensweisen und Eigenverantwortung.

Deutschlands internationale Rolle

Deutschland sollte entsprechend seiner Position als eine international führende politische und Wirtschaftsmacht beim Umgang mit der biologischen Vielfalt sichtbar Verantwortung übernehmen. Der WBGU empfiehlt:

  1. Entschlossen vorangehen, GBF und BBNJ inhaltlich konkretisieren und Umsetzung koordinieren: Deutschland sollte sich entschlossen hinter die Flächenziele des GBF stellen, gemeinsam mit anderen Staaten zügig Vorschläge für flächenbasierte Schutzmaßnahmen vorlegen sowie auf Kohärenz und Koordination zwischen verschiedenen Umweltabkommen drängen.
  2. Dialogforen und Kooperationen über thematische Silos hinweg initiieren und ausgestalten: Alle Politikebenen müssen sich gemeinsam um das Gemeingut Biodiversität kümmern. Plattformen zum inter- und transdisziplinären Austausch fördern gegenseitiges Verständnis und eine effektive Umsetzung international vereinbarter Biodiversitätsziele. Darüber hinaus sollten transformative Kooperationsprojekte initiiert werden.
  3. Vorreiterkoalitionen bilden: Deutschland sollte „Koalitionen der Willigen“ initiieren und das Konzept multilateraler Kooperationsgemeinschaften bewerben. So könnten Standards für den Umgang mit Biodiversität gemeinsam festgelegt oder Bewahrungsgemeinschaften errichtet werden, um besonders wertvolle Ökosysteme vor irreversibler Zerstörung zu schützen und wiederherzustellen.
  4. Die erste BBNJ-Vertragsstaatenkonferenz vorbereiten: Deutschland sollte gemeinsam mit anderen Staaten eine Initiative dazu ins Leben rufen und sich dafür einsetzen, das multifunktionale Flächenmosaik als Leitbild für Schutzgebietsausweisungen und flächenbasierte Schutzmaßnahmen auf dem Meer zu nutzen.
  5. Bildungs- und Kommunikationsoffensive für Biodiversität starten: Ziel ist, das Bewusstsein von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik für die Bedeutung der Biodiversität als Lebensgrundlage für Mensch und Natur zu fördern und Biodiversitätsförderung als Querschnittsaufgabe der Politik zu verankern. Dafür muss die Forschung gestärkt werden.

Biodiversitätsförderung finanzieren

Biodiversitätsförderung braucht hinreichend Finanzmittel. Hierfür sollten nicht ausschließlich Steuergelder genutzt, sondern auch neue Finanzierungsquellen erschlossen und Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Aktivitäten so angepasst werden, dass Wirtschaft und Unternehmen entsprechend des Verursacherprinzips in die Finanzierungsverantwortung einbezogen werden. Der WBGU empfiehlt:

  1. Die internationale Biodiversitätsfinanzierung anschieben: Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass die Beiträge der Finanzierung im Kontext des GBF so rasch wie möglich erfolgen, nicht nur schrittweise erhöht werden und insgesamt weit über 200 Mrd. US-$ pro Jahr betragen.
  2. Umweltschädliche Subventionen biodiversitätsfreundlich umwidmen und Kosten des Nichthandelns beziffern: Subventionsabbau könnte erhebliche Finanzmittel zugunsten biodiversitätsfreundlicher Maßnahmen freimachen. Kriterien des Klima- und Biodiversitätsschutzes sollten bei der Ausgestaltung bestehender und neuer Subventionen berücksichtigt, Kosten bzw. Nutzen des Nichthandelns und Handelns sollten beziffert und Handlungsoptionen umfassend erforscht werden.
  3. Internationale Kooperation durch marktbasierte und nicht marktbasierte Instrumente fördern: Entsprechende Mechanismen könnten Staaten dabei unterstützen, ehrgeizigere Biodiversitätsziele zu erreichen, als auf dem eigenen Territorium möglich wäre. Inwieweit marktbasierte Ansätze wie ein internationaler Handel mit Biodiversitätsgutschriften möglich und sinnvoll wären, sollte aufgrund der antizipierbaren Komplexität, möglicher Flächennutzungskonflikte und Menschenrechtsverletzungen sorgfältig geprüft werden.
  4. Private durch klare Berichterstattung und Taxonomie in die Finanzierungsverantwortung nehmen: Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass die Ansätze der EU zur Berücksichtigung von Biodiversität in der Berichterstattung und Taxonomie international aufgegriffen, vereinheitlicht und verpflichtend festgelegt werden.
  5. Biodiversität in internationalen Finanzinstrumenten priorisieren: Sowohl in bilateralen als auch in multilateralen Kooperationen sollten Maßnahmen für die nachhaltige Nutzung, die Wiederherstellung und den Schutz von Biodiversität gefördert und in Krediten und Garantien priorisiert werden, z. B. durch den Einsatz von Dept-for-Biodiversity-Swaps.
Fünf Prinzipien für den Umgang mit Biodiversität.
Abbildung 1: Schutz und Nutzung der Natur solidarisch und gerecht zusammendenken. Fünf Prinzipien für den Umgang mit Biodiversität. Wegweisend für die Politikberatung des WBGU ist sein normativer Kompass, mit dem, basierend auf der Würde des Menschen, ein ausbalanciertes Zusammenwirken der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, der Teilhabe und der Eigenart angestrebt wird (WBGU, 2020, 2023). Er bildet den Hintergrund der Prinzipien. Quelle: WBGU, unter Einbezug des The-Biodiversity-Plan-Logos (CBD, 2024), Grafik: Wernerwerke.